Home | Der Weg | Der Weg der Steine | Gedanken | Links | Literatur | walksandtalks Auschwitz Dachau: Gedanken 1. Seite Hier können Sie den fortlaufenden Bericht (erste Seite) lesen. Zur einfacheren Navigation klicken Sie bitte einfach auf das entsprechende Datum: Juni: 13. | 14. | 16. | 17. | 18. | 19. | 20. | 22. | zu den weiteren Tagen (klick hier) aktualisiert 16.07.2003 |
12. Juni 2003 Dachau Prag
Die Fahrt nach Dachau zur Gedenkstätte. Es ist Mittag,
gegen 13.30 Uhr. Ich gehe vom Seiteneingang aus 60 Schritte auf das Jourhaus
zu, hebe den ersten Stein auf. 60 Schritte: 60 Tage habe ich für
die Wanderung geplant, 60 Birken stehen neben dem Jourhaus, Birken, die
nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau gepflanzt wurden. Zunächst lese ich bekannte Namen, wenn in Bahnhöfen gehalten wird: Freising, Moosburg, Landshut. Die Landschaft scheint mir vertraut, auch wenn ich sie noch nicht wirklich erfahren habe. Die Orte sehen so aus, als könnten sie einfach in die Nähe von München versetzt werden und niemand würde es merken. Ceska Kubice*, die erste Station nach
der Grenze, die fremden Buchstaben beginnen. Von der fremden Sprache ganz
abgesehen. Der zweite Ort, durch den der Zug fährt, heißt Babylon.
Ich meine, ich habe richtig gelesen: Babylon. Das Hotel Praha, ein weißer
Kasten, relativiert den hier seltsam anmutenden Ortsnamen. 13. Juni Oswiecim* Es ist 5 Uhr morgens. Ich klettere aus meiner Koje herunter, ziehe mich an. Draußen regnet es. Hinter den tiefhängenden Wolken sehe ich Berge. Ich weiß nicht wirklich, wo ich bin. Die Namen der Bahnhöfe bieten mir keine Orientierung. Ich sehe Eisenbahnwaggons, die mit Kohle beladen sind, riesige Fabrikanlagen mit Schornsteinen, Förderbändern, Rohren, die an den Gebäuden entlang und in sie hineinführen. In Cadca steige ich in den Zug nach Zwardon um, der bereits wartet. Langsam, immer wieder in kleinen Orten haltend, fährt der Zug bergan. Es regnet noch immer, doch ich sehe bereits den blauen Himmel, der wieder einen klaren und heißen Tag bringen wird. Ich bin in Polen, in Zwardon. Ich wechsle in den Zug Richtung
Katowice, der langsam bergab fährt. Auch er hält oft, manchmal
mitten im Wald an halbverfallenen Wartehäuschen. Umso überraschender
ist es für mich, dass hier immer wieder Menschen einsteigen. Bei Zywiec überquert der Zug die Sola, den Fluss, der auch durch Auschwitz fließt. An der Bahnstrecke wachsen immer wieder Birken, zum Teil sind es sehr junge Bäume mit dünnen, weißen Stämmen. In Czechowice-Dziedzice muss ich ein letztes Mal umsteigen. Ich warte auf den Zug nach Oswiecim. Endlich komme ich an. Ich will auf dem schnellsten Wege
ins Centrum Dialogu, wo ich ein Zimmer reserviert habe. Ich frage nach
dem Weg, aber die Einschränkung, nur die Zeichensprache benutzen
zu können, führt mich zweimal in die falsche Richtung. Verschwitzt,
müde und deprimiert komme ich schließlich an. Ehe ich einschlafe, schreibe ich mir noch folgenden Satz
auf: 14. Juni Oswiecim · Banalität des Grauens Ich habe lange und gut geschlafen. Ehe ich ins Bett ging, habe ich mir einen Turban um den Kopf gewickelt und die Fischerhose angezogen, was mir gut getan hat, da es mir ein Gefühl von Vertrautheit gegeben hat. Ich fühle mich mehr in meiner Mitte, mehr in dem Raum, der mich jetzt umgibt. Ich mache mich auf den Weg zum Museum im ehemaligen Lager Auschwitz I. Nach 60 Schritten, die ich vom Tor mit der Aufschrift Arbeit macht frei in die Gedenkstätte hinein mache, lege ich den Stein aus Dachau ab. Ich entschließe mich, bereits jetzt den Stein mitzunehmen, der mich auf dem ersten Tag meiner Wanderung begleiten wird. Beim Löschteich, der in der Form eines Schwimmingpools wahrscheinlich 1944 errichtet wurde, entdecke ich eines dieser Details, die mir heute noch mehrere Male begegnen werden: das Rohr des Wasserzulaufs endet im Maul einer Tierfratze, die knapp oberhalb der Wasseroberfläche angebracht ist. Darüber der vielleicht knapp zwei Meter hohe Sprungturm, daneben zwei Eisenleitern, die ins Wasser führen. Es ist diese kleine banale Tierfratze, die mir Angst einjagt, in der sich mir die Nazifratze zeigt. Noch mehrere Male wird sich heute diese Banalität zeigen, die die Nazi-Zeit auch heute noch so beängstigend macht. Zunächst sind es die schmiedeeisernen Laternen mit ihren Glaseinsätzen und dem schmiedeeisernen Dach über den Blockeingängen. Selbst die Nummern, verspielt gestaltet, sind aus Schmiedeeisen. Und, ich möchte fast sagen, natürlich hat der Seiteneingang des Blocks die Nummer a Ordnung muss sein. Ich habe mich lange im Lagermuseum aufgehalten, mir Zeit gelassen. Die Größe der Blocks, dieses Festgefügte der gemauerten Häuser hatte ich nicht erwartet, obwohl ich Fotos kannte. Das Grauen des Ortes ist hier mehr hinter einer scheinbar architektonischen Normalität verborgen. Dafür zeigt sich mir mehr diese Biederkeit, diese Banalität, der SS-Mann, der es gerne etwas gemütlich hat nach dem Morden. Und außerdem im Grunde seines Herzens ein Mann von Kultur ist, ein liebender Vater, ein Kumpel, ein Freund, einer der Spaß versteht und auch gerne mal in trauter Runde ein Gläschen hebt. Auf der Fahrt nach Oswiecim fiel mir ein Begriff ein, den
mir ein Bekannter hinwarf, als ich ihm von meinem Projekt erzählte:
Sühnemarsch. 16. Juni Auschwitz Birkenau · Die Täter sind seltsam abwesend Ich habe nochmals Lager Auschwitz I besucht. Dieser Raum zeigt für mich in der Gedenkstätte
wie kein anderer den großen Verlust, die Leere, die dieses mörderische
Tun hinterlassen hat. Er zeigt es auf eine eindringliche und stille Weise. Ich sehe auch viel Grün, ich sehe dieses Grün
gelb, rot, weiß, blau durchsetzt, ich sehe Schmetterlinge, Schwalben,
andere Vögel (ich bin kein guter Vogelkenner, um zu sagen, wie sie
heißen). Sie sitzen auf den Stacheldrähten, fliegen wieder
auf, um sich ein paar Drähte weiter wieder niederzulassen oder aber
sie fliegen ins Gras oder hinüber zu den Holzbaracken, die eigentlich
als Ställe für Militärpferde gedacht waren. Neben den Krematorien kleine verschilfte Tümpel, in denen Frösche quaken. Davor vier schwarze Gedenksteine in Polnisch, Englisch, Hebräsich (die beiden rechten mit hebräischen Inschriften): Dem Gedenken an die Männer, Frauen und Kinder, die Opfer wurden des Nazi Genozids. Hier liegt ihre Asche. Mögen ihre Seelen in Frieden ruhen. Ich befinde mich im letzten Raum des sogenannten Saunagebäudes.
Es ist der Raum, in dem für die, die nicht gleich ins Gas geschickt
worden waren, das Lagersterben begann. Sie waren desinfiziert und eingekleidet,
ihre abrasierte Körperbehaarung war wie ihr geraubtes Eigentum auf
dem Weg in eine der Baracken des benachbarten Canada, um zurück ins
Reich geschickt zu werden. Als ich heute nochmals ins Auschwitzmuseum ging, eigentlich
nur, um noch ein paar Dinge zu überprüfen, die ich mir unklar
notiert hatte, war da plötzlich die Frage: Wo sind hier eigentlich
die Täter? Und wo sind die Zuschauer (Gaffer)? Wo sind die, die Menschen
zu Opfern machten? Die Täter sind seltsam abwesend. Sie sind zu sehen
als Uniformen bei Selektionen, bei Arbeitseinsätzen, auf den Fotos,
die das Leben im Lager zeigen. Wo sind aber ihre Namen, ihre Gesichter,
ihre Geschichten? 17. Juni Der erste Tag des Gehens Es war ein langer anstrengender Tag, dieser erste Tag des
Gehens. Bis ich gegen 13.30 Uhr in Bielsko-Biala ankam, lief alles auch
ganz gut. Dann begannen aber die Wirrnisse auf der Suche nach dem Hotel,
das ich mir eigentlich von Oswiecim aus ausgedacht hatte und dort hatte
anrufen lassen. Der Stein aus Auschwitz ist abgelegt. Den Stein für den nächsten Tag habe ich bereits mit aufs Zimmer genommen. Ich werde es jetzt immer so halten, werde Ablegen und Aufnehmen direkt hintereinander machen. Ich finde es ein schönes Gefühl, den mitzunehmenden Stein wenigstens eine Nacht um mich zu haben. Außerdem scheint mir durch die zeitliche und örtliche Nähe des Ablegens und Aufhebens am wenigsten das Gleichgewicht gestört, ich greife am wenigsten ein. Noch ein paar Gedanken zum Täteraspekt von gestern: Natürlich scheint der Täter (der Zuschauer) im Opfer auf, denn ohne den Täter (den Zuschauer) kann das Opfer nicht Opfer sein. Ich meine aber, dass der Täter (der Zuschauer), wenn er nicht explizit genannt wird, nicht vorkommt, sich im Opfer versteckt und langsam verschwindet. Dem Opfer wird der Täter (der Zuschauer) quasi einverleibt und wird dadurch unsichtbar. Gleichzeitig muss der Täter (der Zuschauer) aber sichtbar bleiben oder überhaupt erst sichtbar gemacht werden, da sonst das Opfer quasi zum Opfer aus sich selbst wird. Es gibt dann gar keine Verbindung mehr zwischen Täter, Zuschauer, Opfer. Auch die Abwesenheit des heutigen Deutschland in den Gedenkstätten
beschäftigt mich. Der Text auf der Gedenktafel des internationalen
Mahnmals ist so allgemein, als hätte das gar nichts mit Deutschland,
mit uns zu tun. Nichts zum Thema Schuld, Verantwortung, Bedauern, Scham, was auch immer. Und dass die Nazis aus Deutschland kamen dürfte zwar bekannt sein, aber warum steht es dann da nicht? 18. Juni 2003 Ungestellte Fragen Der Tag heute war besser als der gestrige. Ich war früher an meinem Zielort Zywiec und bezüglich Hotel habe ich mich schneller und pragmatischer entschlossen. Den Weg habe ich heute gut gefunden. Die Wanderkarte ist
zur Orientierung wunderbar. Die Route führte zunächst hinauf
auf einen Ausläufer der Beskiden. Ein kurzer Anstieg, der es aber
mächtig in sich hatte. Die Beskiden habe ich dann aber wieder verlassen
und mich östlich davon im Flachland gehalten. Wie es morgen werden wird, weiß ich nicht. Ich bin
aber guter Dinge vor meiner nächsten Etappe in Richtung Slowakei.
Den Füßen geht es gut, auch wenn sich einige Blasen gebildet
haben. Die Schmerzen in den Schultern sind auszuhalten und verschwinden
über Nacht. Ich versuche mehr auf meinen Körper zu achten, gönne
ihm immer wieder Pausen. Ich denke, ich werde nicht nur mehr ins Gehen
kommen, ich werde auch die richtige Einteilung der Routen finden. Durch Zywiec fließt die Sola. Das ist das Verbindende
zwischen den beiden Orten Oswiecim und Zywiec. Erneut ein kleiner Hinweis,
dass ich erst gestern früh Auschwitz verlassen habe. 19. Juni 2003 Mein Hut bringt die Leute zum Lachen Mein kleines Notizbuch war weg, ich hatte es auf dem Weg
zum Grojec oberhalb Zywiec verloren, habe es aber wieder gefunden. Mein tägliches Lied kam heute aus der Zywiecer Kirche.
Gesungen wurde es von einer einzelnen männlichen Stimme, ich nehme
an, es war die Stimme des Priesters. Heute scheinen alle Polinnen und
Polen in der Kirche zu sein. Auch verstand ich heute besser, warum selbst
in kleineren Orten die Kirchen groß sind. Als ich durch Wierpz gehe,
wirkt der Ort wie ausgestorben, selbst die Hunde machen sich nicht durch
ihr Bellen bemerkbar. Als ich auf dem Grojec ankam, fand ich unzählige Neonaziparolen auf ein kleines weißes Technikgebäude gesprüht: Judy Raks; Skins Head; Nazi Front; Hakenkreuze. Anders als in München sind sie hier viel deutlicher zu sehen, die Glatzen mit den Pitbull-Shirts und manchmal auch mit den entsprechenden Hunden. Ich habe sie in Bielsko-Biala gesehen, in Zywiec, in den Dörfern nicht. 20. Juni 2003 Einladung zum Tee Heute ist ein schwieriger Tag. Ich habe zwar mein Etappenziel
Skalite in der Slowakei gut erreicht, aber die Probleme mit meinen Füßen
nehmen zu. Ich hatte vor dem Haus einen Mann nach dem Grenzübergang
in die Slowakei gefragt, da mir die Karte hier nicht eindeutig war. Er
sprach etwas Englisch. Seine Auskünfte waren unklar und ich wusste
nicht recht, was ich mit ihnen anfangen sollte. Als ich bei meinem Tee
im Gastraum saß, kam er nochmals mit der Karte (übrigens die
gleiche, die ich benutzte) und erklärte mich erneut, wie ich wohl
am besten nach Skalite käme. Offensichtlich gab es oberhalb des Hauses
Dworzec Beskidzki, so hieß es, eine grüne Grenze mit einem
einfachen Grenzstein und je einem offiziellen Schild auf jeder Seite.
So sollte ich gehen. Hinter Milowka habe ich heute die Sola verlassen. Es gibt also jetzt nur noch den Weg der Steine als direkte Verbindung nach Auschwitz/Oswiecim. Und meine Gedanken. Heute habe ich allerdings nicht sehr viel darüber nachgedacht. Mir fiel ein, dass der Auschwitz-Flüchtling Vrba, ein Slowake, sich durch diese Gegend in die Slowakei durchgeschlagen hat, um sich selbst zu retten und um zu versuchen, die ungarischen Juden vor der Deportation und dem Vergasen zu retten. Seine persönliche Rettung gelang, die Ermordung eines Großteils der ungarischen Juden konnte er nicht verhindern. 22. Juni 2003 Viel Slowakisch, etwas Deutsch Gestern habe ich nichts aufgeschrieben. Der Tag war physisch
und psychisch zu anstrengend. Ich ging noch ein paar Kilometer durch Lodno. Als ich an
einer Bushaltestelle einen Jungen stehen sah, gab ich mein Vorhaben auf,
nach Kysucke Nove Mesto zu gehen. Es wären noch etwa 8 Kilometer
gewesen, also etwa Es ist wirklich schrecklich, mit nur ein paar Worten, ein fremdes Land zu bereisen. Ihr Deutsch war zwar weit besser als mein Slowakisch, aber es bestand eben auch nur aus Bruchstücken eines einmonatigen Aufenthalts in Berlin. So viel zumindest konnte ich von ihr erfahren. Sie brachte mich zum Hotel. Das Hotel ist eine andere Welt
als die, aus der meine Begleiterin kam. Es gibt so viele Widersprüche,
die sich nicht einfach auflösen lassen und die doch traurig machen. Zur Fortsetzung klick hier |
* Die tschechischen und polnischen Namen mit ihren besonderen Zeichen werden hier vorläufig nur im westeuropäischen Schriftbild dargestellt, da ältere Browser die Sonderzeichen möglicherweise nicht richtig wiedergeben. |
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Schwarz Kartografie: Astrid
Fischer-Leitl Webmaster Bernd Hüller Offset-Service
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