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23. Juni 2003 Radio Gaga Heute schon wieder eine Abweichung vom Plan. Ich bin noch einen Tag in Strecno geblieben. Zum einen tut es mir gut vor den anstehenden schweren Etappen etwas auszuruhen, zum anderen musste ich heute aus pragmatischen Gründen nach Zilina (mit dem Bus gefahren). Ich hatte nämlich kein Geld mehr. Außerdem musste ich mir dringend die fehlenden Karten besorgen, sonst wäre ich in etwa zwei Tagen ohne genaues Kartenmaterial gewesen. Ich habe ziemlichen Respekt vor den Etappen, die bis Trencin
vor mir liegen. Es geht mächtig hinein in die Berge. Von Strecno
aus, das auf 360 m liegt, will ich auf dem Europawanderweg 3 morgen hinauf
zum Velka Luka (1475 m). Das wird der höchste Punkt meiner Wanderung
sein, den ich erreichen werde. Der Weg gestern war bis auf das Schlussstück vom Sedlo
Ziarce nach Strecno (wieder ein asphaltierter Weg, dann eine wenig befahrene
Straße) wunderschön. Nachdem ich meine Besorgungen erledigt hatte, setzte ich mich an einem der zentralen Plätze, dem Marianske namestic in ein Straßencafe. In diesen Cafes rivalisieren nun lautstark die verschiedenen Formatradiosender gegeneinander. Mainstreamrock, Wortbeiträge, Hardcore, slowakischer Musikantenstadl, eine musikalische Kakophonie, die sich manchmal mit den Stimmen der vorübergehenden Menschen zu interessanten Klangflächen verdichtet, die das einzelne Musikstück nicht mehr erkennen ließen. Im Bus auf der Fahrt zurück nach Strecno lief Queens Radio Gaga. 24. Juni 2003 Blitz und Donner Der erste (kürzere) Teil der Königsetappe
liegt hinter mir. Ich kam sehr gut zurecht. Als ich losging war ich nicht
sicher, ob das Wetter halten würde, aber es war ideales Wanderwetter,
nicht heiß, kein Regen. Momentan befinde ich mich unterhalb des
Velka Luka (1475 m), den ich morgen überqueren werde, auf etwa 1250
m Höhe in einer praktisch verlassenen Hütte. Letzte Nacht habe ich schlecht geschlafen, die Unruhe in mir vor dem heutigen Tag war einfach zu groß. Dazu gab es gegen 1 Uhr ein heftiges Gewitter und es goß in Strömen. Zuerst sah ich das Licht einzelner Blitze. Den Donner konnte ich erst hören, als das Gewitter näher kam. Es war ein voluminöser Donner, der lange ausklang. Das Gewitter kam heran, langsam mit diesen einzelnen Lichtblitzen, dann war es ganz nah, erhellte das Zimmer, beruhigte sich etwas im Weiterziehen, um dann noch einmal seine ganze Kraft zu zeigen. Als es endgültig stiller wurde hörte ich einen
herannahenden Zug auf der anderen Flussseite. Ich dachte mir, es wäre
gut, sich einem Zug anzuvertrauen und zurückgebracht zu werden in
die Situation, die ich zu kennen glaube, die mich innerlich nicht so aufwühlt
und mich nicht an Grenzen bringt, wie das hier der Fall ist. 25. Juni 2003 Danko Es ist kurz vor 5 Uhr morgens. Zwischen den Bäumen
vor der Hütte sehe ich glutrot die Sonne aufgehen. Es verspricht
ein schöner Tag zu werden. Ich bin nervös, da ich mir sehr viel
vorgenommen habe. Um 5 Uhr gehe ich los. Ich verlasse den Europawanderweg 3. Ich fand die Situation total irre. Er half mir völlig
uneigennützig, aus einem Gefühl heraus. Als er dann auch noch
kochte (Fischstäbchen mit Kartoffeln und Salat) war ich endgültig
überwältigt. Er tat das einfach, um mir zu helfen. 26. Juni 2003 Ich lasse die Zeit vergehen Das Handy ist das einzige technische Gerät, das ich
mit auf die Wanderung genommen habe. Ist es das Schreiben, das mich traurig macht? Oder ist es
ein Tag wie heute, an dem ich nur drei Stunden gegangen bin, Zeit und
nichts zu tun habe? Aber ich tue doch etwas, ich schreibe, denke nach. Heute bin ich nur drei Stunden gegangen. Seit heute bewege
ich mich nicht mehr frei durch die Natur. Danko hat mir erzählt,
dass es in der Gegend viele Bären gibt. Ich musste mich bereits heute
anstrengen, den Weg zu gehen. Die Vorstellung, dass Bären in diesen
Wäldern leben, macht mir Angst. Ich habe meine geplanten Routen für
die nächsten beiden Tage verändert, werde mehr auf Straßen
gehen, die dichten Wälder meiden. Ab Trencin sind Bären kein
Thema mehr. Ich gehe noch einmal hinaus, um den mitgebrachten Stein vom Fackovske sedlo abzulegen und einen neuen für morgen aufzunehmen. Als Ort wähle ich das Rathaus. Nachdem ich den neuen Stein aufgenommen habe, sehe ich die beiden Gedenktafeln. Eine erinnert an die Partisanen aus dem Ort, die im Kampf gegen die faschistische Unterdrückung umgekommen sind. Die zweite gedenkt der vier Menschen aus Cicmany, die im Lager Mühlberg ermordet wurden. Eine 15-jährige Helena ist darunter. 27. Juni 2003 Immer das gleiche Lied Wieder ein Tag durch die Bärenwälder. Allerdings
versuche ich meine Angst etwas zu beruhigen, indem ich die Straße
benutze. Was eigentlich lächerlich ist, da sich die Bären wohl
kaum um diese wenig befahrene Straße scheren. Mir vermittelte dieser
erneute Großstädterunsinn aber zumindest ein gewisses Gefühl
der Sicherheit. Ich war jedesmal froh, wenn ich ein sich näherndes
Auto hörte. Schon verrückt, wie ich mich plötzlich über
Dinge freuen kann, die mich normalerweise eigentlich stören. Danko hatte mir gesagt, es sei gut, sollte ich tatsächlich einem Bären begegnen, zu schreien. Also übte ich auch schreien. Und wenn ich rennen müsste, dann sollte ich bergab laufen, das würden Bären nicht mögen, da sie kurze Hinterbeine haben. Also hatte ich auch immer ein Auge auf die Abhänge. Immerhin gelang es mir relativ ruhig nach Kosecke Podhradic zu kommen. Ich machte mich an den Aufstieg hinauf zum Vapec, der zwar
nur 955 m hoch ist, da ich aber von 350 m aus los ging, war es letztlich
doch sehr anstrengend hinaufzukommen. Resonanz: Dear Sir, 28. Juni 2003 Gedenkweg Heute ist Kontrastprogramm angesagt. Als ich nämlich
in Trencianske Teplice ankomme, habe ich das Gefühl, in eine andere
Welt zu kommen. Dieses Heilbad (Teplice heißt Heilbad) wirkt mächtig
herausgeputzt. Die letzten beiden Wandertage waren vom Gehen her ausgesprochen
gut. Meinen Füßen geht es immer besser. Mittlerweile habe ich
den Zustand, ein wandelndes Blasenpflaster zu sein, verlassen. Mehr zur
Beruhigung schütze ich nur noch die oberen Bereiche von zwei Zehen.
Die Routen sind mittlerweile auch weniger anstrengend. Die großen
Höhen liegen hinter mir. Und auch die Bären haben sich verabschiedet. Gestern fragte mich Danko, warum ich die Wanderung mache:
Do you feel guilty? Nein, schuldig fühle ich mich nicht.
Ich versuchte ihm zu erklären, warum ich mich entschlossen habe,
diesen Weg zu gehen, den ich als Gedenkweg sehe. Dass ich mich den Fragen
stellen will, die mich in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus beschäftigen. 29. Juni 2003 Auf in die Weite Trencin ist erreicht. Von Trencianske Teplice war das zwar kein weiter und anstrengender Weg. Und doch habe ich das Gefühl, einen großen Schritt getan zu haben. Ich bin raus aus den Wäldern, die mich wegen ihrer Dichtheit, ihrer Dunkelheit, ihrer scheinbaren Unendlichkeit immer mehr deprimiert haben. Auf jede noch so kleine Lichtung habe ich mich gefreut, auf jedes Heraustreten auf eine Wiese. Wieder die Sonne sehen, den Himmel, dass da Weite ist. Trencin stellt sich mir als Kontrast in sich selbst vor: das schöne gepflegte Innere, das hässliche schmutzige Äußere. Ab und zu geht ein Mensch aus dieser Außenwelt durch die gute Stube und stört etwas den Anblick. Aber auch ich bewege mich ja heute nur in dieser Innenwelt, ein reicher Gast aus Deutschland, dem es nicht viel ausmacht, den Wochenlohn eines slowakischen Arbeiters für eine Übernachtung auszugeben. Ich komme zur Synagoge, 1909 bis 1912 errichtet, ein beeindruckender
Bau mit mächtiger Zentralkuppel. Ich kann durch die Fenster etwas
vom Inneren sehen, habe den Eindruck, es ist leer. Auf der der Straße
abgewandten Seite entdeckte ich bunte Glasfenster. Am Seiteneingang hängt
eine Tafel mit dem siebenarmigen Leuchter, die ich erst finde, als ich
zum zweiten Mal an der Synagoge vorbeigehe. 30. Juni 2003 Langsame Beschleunigung Der Tag heute war sehr anstrengend. Ich habe aus zwei Etappen
eine gemacht. Und befürchte, mich übernommen zu haben. Wandern ist eine langsame, gleichartige und gleichförmige
Bewegung. Da ich heute in der Ebene ging, wurde mir das viel deutlicher
als in den Bergen und Wäldern. Manchmal sah ich in einer Entfernung
einen Baum, der Schatten anbot. Meine Augen sagten mir, der Weg dorthin
ist nicht weit. Meine Beine aber stellten fest, dass es doch vielleicht
eine halbe Stunde dauerte, um den Schatten zu erreichen. Auf dem Dammweg vor Nove Mesto fiel mir heute Jean Tinguelys Mengele-Altar aus dem Basler Museum ein. Ich weiß nicht, wie mein Kopf mich dorthin geführt hatte. Sie waren da, diese dunklen, düsteren Maschinen aus den Resten der Landmaschinenfabrik Mengele, die Tinguely zu einer beweglichen Skulptur zusammengefügt hat. Ein Moment der Erinnerung, der sich aus dem Namen des eleganten und feinsinnigen KZ-Arztes Josef Mengele ergibt, der gerne an der Rampe in Auschwitz stand, um Herr sein zu können über Leben und Tod. Er war so ein Meister aus Deutschland. Nove Mesto, mein eigentliches Tagesziel gefiel mir nicht. 1. Juli 2003 Eine doppelte grüne Rohrleitung Auch heute ist es wieder der Asphalt, der mir zu schaffen
macht. Während der etwa sieben Stunden, die ich unterwegs bin, folge
ich einer Landstraße. Mittagspause mache ich in Velke Kostolany.
Ich sitze wieder einmal, in einem Buswartehäuschen, wobei mir die
in Polen und in der Nordslowakei meist besser gefallen haben. 2. Juli 2003 Sonnenblumenfelder Heute war ich stark mit dem Gehen beschäftigt. Die
Straßen, die Sonne, die Hitze, sie haben viel von mir gefordert.
Habe das Gefühl, nicht mehr viele Reserven zu haben. Und meine Füße
sehen auch nicht gerade toll aus. Sonne bekam ich heute nicht nur von oben, sondern auch von
der Seite. Weit dehnten sich die Sonnenblumenfelder, lachten mich an oder
zeigten mir die Rückseite. Darüber schwammen Wolken wie Inseln
im Blau des Himmels. Ein kräftiger Wind blies, der aber gegen Mittag
nachließ und mich wieder der Hitze überließ. Frustrierend ist es auch, das Ortsschild des Ziels zu sehen und gleichzeitig zu wissen, noch wird mindestens eine Stunde vergehen, bis ich wirklich angekommen bin. Nur für eine Nacht, denn ich bin ein Durchreisender, einer, der sich am Morgen wieder auf den Weg macht. 3. Juli 2003 Birken sind schöne Bäume, Birken sind traurige Bäume Ich bin in Raca, also eigentlich in Bratislava, da Raca
ein Vorort davon ist. Ich bewohne Zimmer 220 im Hotel Baronka, einem weißen
Kasten mit 228 Betten, Kongresssaal, Konferenzräumen, Schwimmhalle,
Sauna, Fitnessraum, Restaurant, Weinstube. Genau die Welt, in der ich
es gewohnt bin, mich zu bewegen. Gestern noch saß ich müde auf einer Steinmauer in Senkvice und sah traurig dem Zug in Richtung Bratislava hinterher, heute bereits bin ich in dieser Stadt, auch wenn sie hier Raca heißt und nur ein Vorort ist, der wie ein Vorort aussieht. Der Weg hierher führte durch die kleinen Karpaten. Er war nicht anstrengend, die Berge haben seit Martinske hole doch stark an Höhe verloren, erreichen nur noch etwa 400 Meter. Aber ich bin noch einmal ein Stück auf dem Europafernwanderweg 8 gegangen. Und auch morgen werde ich mich auf ihm bewegen. Auf dem Weg heute habe ich viele Birken gesehen. Sie erinnern mich an Birkenau, den Beginn meiner Wanderung. Auch die Birken neben dem Jourhaus in der Gedenkstätte in Dachau erinnern mich an Birkenau, an die Wäldchen, wo die Menschen manchmal warten mussten, ehe die Henker ihre Vorbereitungen beendet hatten und die Gaskammern bereit waren. Birken sind schöne Bäume mit ihren weißen Stämmen. Birken sind aber auch traurige Bäume. 4. Juli 2003 Da war sie wieder, meine vertraute Sprache Ich erwache in meinem Hotelsilo in Raca, mache mich fertig, frühstücke, gehe los. Ich finde die weiß-blau-weiße und die weiß-gelb-weiße Markierung, die mich (ein letztes Mal) zum Weiß-rot-Weiß des Europafernwanderwegs 8 führen. Grenzen wie die in Berg/Petrzalka sind nicht für Fußgänger gemacht. Ich musste die PKW-Spur benutzen. Die Grenzbeamtin lächelte mich an, als sie fragte: Zu Fuß? Da war sie wieder, meine vertraute Sprache, mit der ich mich die nächste Zeit würde verständigen können, um meine Alltagsprobleme zu lösen. Nach etwa zwei Kilometern bemerkte ich einen Wachturm aus Holz, der im oberen Bereich nach Osten hin verglast und offensichtlich beheizbar war, da ein silbern gestrichenes Ofenrohr oberhalb des Ausgucks ins Freie führte. Im Näherkommen sehe ich zwei Menschen, die mit Feldstechern in meine Richtung schauen. Als ich fast auf Höhe ihres Beobachtungspostens ankomme, steigen sie herunter. Es sind Soldaten. Guten Tag, Grenzlandüberwachung! Ausweiskontrolle! Ich zeige meinen Ausweis. Er blickt mir ins Gesicht, ein vergleichender Blick mit meinem Foto. Weg frei! Ich darf endgültig nach Österreich. In Wolfsthal machte ich Rast auf einer Bank am Ortseingang.
Ich wollte noch weiter bis Hainburg, eine etwas größere Stadt,
um dort eben am nächsten Tag meine notwendigen Besorgungen machen
zu können. Der erste große Teil der Wanderung liegt hinter mir,
noch ist aber längst nicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt.
Trotzdem habe ich das Gefühl, schneller als gedacht vorangekommen
zu sein, gerade auch weil große Höhenunterschiede hinter mir
liegen. 5. Juli 2003 Die negierte Synagoge von Hainburg Heute ist also mein erster wirklicher Tag der Ruhe. Ich
habe ihn genutzt, um in Hainburg einige dringend notwendige Besorgungen
zu machen (Landkarten, Pflaster, Sonnenmilch). Von meiner Pension aus
waren es aber nur ein paar Schritte, um das alles zu erledigen. Ich gehe zurück zur Stadtinformation. Die Frau, die mir den Weg zur Synagoge genannt hatte, schließt gerade das Büro. Ich sage ihr, wie entsetzt ich über das Gesehene bin. Da können wir leider nichts machen, das ist Privatbesitz. Nein, nicht einmal eine Hinweistafel könnten sie dort anbringen. Noch etwas anderes fällt mir auf, wenn ich im Rundgang durch das historische Hainburg über die Synagoge lese: Zwischen 1320 und 1420 war in Hainburg eine bedeutende jüdische Gemeinde,.... Es ist mehr als verdächtig, wenn so eine jüdische Gemeinde im Mittelalter so klar definiert (1420) endet. War es ein gewaltsames Ende? Wurden sie der Brunnenvergiftung bezichtigt, des Hostienfrevels, der Kindstötung? Und wenn nicht ermordet, so doch zumindest aus der Stadt verjagt? Ich sitze auf einer Bank an der Donau, blicke auf den Fluss, der schnell an mir vorbeifließt. Ich weiß, die Isar mündet in die Donau. Wohin mündet eigentlich die Amper, die durch Dachau fließt? 6. Juli 2003 Die Wächter von Petronell Mein Körper ist müde. Der Tag Pause hat diese
Müdigkeit nicht beseitigt. Nach dem heutigen Gehtag ist sie wieder
da, und ich weiß, sie wird bis zum letzten Tag bleiben. Ich werde
Probleme mit meinen Füßen haben, werde die Last des Rucksacks
spüren. Und werde trotzdem versuchen, jeden Tag weiter zu gehen. Da ich auf das Gehen konzentriert bin, lasse ich Sehenswürdigkeiten
links liegen, an denen ich normalerweise keinesfalls vorbeigehen würde.
Heute zum Beispiel kam ich durch Petronell-Carnuntum, ging an einer romanischen
Rundkapelle vorbei, an zwei römischen Amphitheatern und weiteren
Ausgrabungen aus dieser Zeit. Das macht mir nicht viel aus. Ich weiss,
dass ich mit Anderem beschäftigt bin, Anderes im Vordergrund steht. 7. Juli 2003 Friedhof der Namenlosen Während ich von Fischamend kommend an der Donau in
Richtung Schwechat wandere, denke ich an das Denkmal Alfred Hrdlickas
in Wien. Er thematisiert unter anderem die öffentliche Demütigung
der Juden Wiens, die nach dem Anschluss Österreichs schrubbend
die Bürgersteige von Parolen reinigen mussten. Drumherum lachende
Arier, es war eine Hetz. Ich sehe die Fotos vor mir. Gestern hatte ich in meinem Stadtplan zufälligerweise
entdeckt, dass es auf meinem Weg in die Stadt Wien einen Friedhof
der Namenlosen gibt. Ich finde ihn zwischen Speichern, Silos, Zollamtsgebäuden
am Alberner Hafen. Bei den Namenlosen handelt es sich um die Menschen,
die die Donau im Bereich Wien als Leichen angespült hat und die nicht
identifiziert werden konnten. (Was nicht ganz stimmt, da es auf diesem
Friedhof an den schwarzen Eisenkreuzen mit dem silbernen Jesus auch Namensschilder
gibt. Offensichtlich gelang es bei einigen später herauszufinden,
wer sie waren.) Here lie their ashes. May their souls rest in peace. Der Weg durch Wien war anstrengend und letztlich frustrierend.
Es gab keine Zimmervermittlung am Südbahnhof, wie ich vermutet hatte.
Ich fuhr mit der Straßenbahn ein paar Stationen zum Schwarzenbergplatz,
fand, nachdem ich gefragt hatte, das Infozentrum neben der Albertina.
8. Juli 2003 Mein Gedicht von Robert Lax Etwa 280 Schritte habe ich mich herausbewegt aus Wien und bin doch etwa 14 Kilometer gegangen. Wien ist eine große Stadt. Ich las wieder einmal das Gedicht von Robert Lax, das ich
als einzige Lektüre mit auf die Wanderung genommen habe. Ich frage
mich, warum ist Robert Lax zum Sterben nach New York zurückgekehrt.
(Vielleicht kann ich auch dazu in München etwas in Erfahrung bringen.) 9. Juli 2003 Bäume als Symbole Mit dem heutigen Tag ist glaube ich, der Einstieg in den
zweiten Teil wirklich gelungen. Es war ein guter Tag. Ohne mich zu hetzen,
habe ich ein ordentliches Stück Weg hinter mich gebracht. Meist führte
er, ohne große Höhenunterschiede, durch den Wald. Wieder waren
es oft Buchen, sie schienen mir aber lichter zu stehen als in der Slowakei.
Obwohl auch ihre Kronen den Blick nach oben in den Himmel einschränkten. Fühle mich momentan etwas leer geschrieben. Die Ideen
kommen mir nicht mehr so in den Kopf. Oder sie wiederholen sich. Ich sehe
Birken, denke an Birkenau; ich sehe Pappeln, denke an Dachau. Das muss
ich nicht jedesmal hinschreiben. Zu den Bäumen möchte ich aber
doch noch ein paar Gedanken festhalten. Vorgestern habe ich geschrieben,
die Pappeln in Dachau sind nicht nur Bäume. Ich meine damit nicht,
dass die Pappeln entlang der ehemaligen Lagerstraße etwas anderes
geworden sind. Sie sind Pappeln geblieben und werden es sein, so lange
sie dort stehen. Ich habe sie zu etwas anderem gemacht, zu einer Art Gedächtnis,
das mein Wissen über das Konzentrationslager beinhaltet. Ich kann
sie, speziell auf dieser Wanderung, nicht mehr nur als Pappeln oder als
Bäume wahrnehmen. Sie sind für mich zu einem Symbol für
Dachau geworden. Vor dem Hrdlicka-Denkmal in Wien heißt es auf einer
Tafel im Boden: errichtet im Bedenkjahr 1988. Ich denke, ich werden die Gedenkstätte in Mauthausen und die Todesstiege umgehen. Als ich heute an einer Ausgrabung vorbeikam, konnte ich mir einige Fundstücke ansehen. Unter anderem wurden mir die Skelettteile eines Menschen gezeigt. In Auschwitz wurden die Knochen de ermordeten Menschen zermahlen und ausgestreut. Nicht einmal die Skelette durften bleiben. Zur ersten Seite der Chronologie: 12. 22. Juni 2003 |
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Schwarz Kartografie: Astrid
Fischer-Leitl Webmaster Bernd Hüller Offset-Service
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